Das Projekt Agirre in Berlin 1941-2016 verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart. Unsere Absicht ist es, durch das Projekt die gemeinsame Geschichte des Baskenlands und Deutschlands sichtbar werden zu lassen, um daraus Lehren, die für uns im gegenwärtigen Europa von Nutzen sein können, zu ziehen.
Der Gernika Deutsch-Baskischer Kulturverein e. V. – Euskal Etxea Berlin hat aus diesem Grund eine Veranstaltungsreihe organisiert, in deren Mittelpunkt der Aufenthalt José Antonio Agirres in Berlin, der Hauptstadt des Dritten Reichs, im Jahr 1941 sowie seine Rückkehr dorthin im Jahr 1956, als er bereits der Präsident der baskischen Exilregierung und aktives Mitglied der europäischen christdemokratischen Bewegung war, stehen.
Aus diesem Anlass sind seine Schriften aus der Zeit, die er in Deutschland verbrachte, ins Deutsche übersetzt und eine Landkarte angefertigt worden, die das Berlin aus dem Jahr 1941 so zeigt, wie Agirre es in seinem Tagebuch beschrieben hat. Um all das einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde eine Website erstellt, die in Deutsch, Baskisch und Spanisch zur Verfügung steht und auf der man alles Wissenswerte über diesen nicht allzu bekannten Abschnitt von Agirres Leben, als er sich im 2. Weltkrieg auf der Flucht durch Deutschland befand, erfährt. Daneben haben wir auch wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen zum Thema organisiert, die durch die international angelegte wissenschaftliche Konferenz The International Legacy of Lehendakari José A. Agirre’s Government abgerundet werden. Sie wird vom baskischen Kulturinstitut Instituto Vasco Etxepare, vom William Douglass Center for Basque Studies der Universität Reno in Nevada, USA, sowie der Universität Leipzig geleitet und finanziert. Den internationalen Charakter erhält diese Konferenz jedoch nicht nur durch die Vortragenden, sondern auch dadurch, dass die wissenschaftlichen Symposien zeitgleich in Reno, Berlin und New York abgehalten werden.
José Antonio Agirre war der erste baskische Ministerpräsident (Lehendakari) einer mitten im spanischen Bürgerkrieg demokratisch gewählten baskischen Regierung. Er war eine große und herausragende politische Persönlichkeit, die einstimmig als “Präsident aller Basken” anerkannt war und dessen politischer und persönlicher Weg durch die konfliktreichsten und angespanntesten Jahre des 20. Jahrhunderts gezeichnet sind. Auch heute besteht noch ein sehr großes Interesse an der Figur des Lehendakari Agirre, ist er doch einer der wenigen politischen Akteure jener Zeit, über den die Meinungen einmütig sind. Sein politisches Projekt, nämlich ein eigenständiges Baskenland (Euzkadi), wollte er stets in einem demokratischen Europa realisiert sehen und das ist bis heute sein wichtigstes Vermächtnis.
Von 1936 an war er zuerst im Baskenland und später ebenso in seinem Exil in Katalonien, Frankreich und Belgien ein unbeirrbarer Kämpfer gegen den internationalen Faschismus. 1940, als Nazideutschland in Westeuropa einfiel, ging Agirre in den Untergrund. Nach Berlin kam er mit einem falschen Pass und es gelang ihm so, von der Hauptstadt des Dritten Reichs aus über Göteborg nach Südamerika fliehen, um von dort aus in die USA zu reisen. Nach seiner Ankunft in New York nahm er den Kampf gegen den Faschismus wieder auf und engagierte sich ab 1945 für die Demokratisierung des alten Kontinents. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs kehrte er nach Europa zurück, um bei der Schaffung einer europäischen Christdemokratie mitzuwirken. 1960 starb er in Paris.
Das Projekt Agirre in Berlin nimmt das Engagment Agirres für ein demokratisches Europa zum Anlass, um sich nicht nur mit dem historischen Kontext des Lehendakari Agirre auseinandersetzen, sondern auch hervorzuheben, welchen Anteil Agirre an der Entstehung der gegenwärtigen Europäischen Union hatte. Wir wollen die von Agirre und all jenen Personen, die im Umfeld der baskischen Exilregierung tätig waren, geleistete Arbeit zur Geltung bringen. Agirre war nicht nur ein bedeutender und herausragender Politiker, der sogar von seinen politischen Gegnern respektiert wurde, sondern auch ein im Exil lebender Mensch, der vor einem verlorenen Krieg floh und sich dazu unter falscher Identität ins Herz eines totalitären Regimes begab.
Drei Aspekte verdienen es, an dieser Stelle besonders hervorgehoben zu werden.
- In diesem Jahr jährt sich zu 80. Mal die Gründung der baskischen Regierung, zum 75. Mal die Flucht Agirres über Berlin und zum 60. Mal seine Rückkehr nach Berlin, wohin er zusammen mit Robert Schuman und anderen Politikern seiner Zeit zum Kongress der Nouvelle Équipes Internationales, die Vorläufer der europäischen Christdemokraten und der Ursprung der heutigen Europäischen Union, reiste.
- Es ist unsere Absicht, einen umfassenden Überblick über die Folgen des Spanischen Bürgerkriegs nicht nur im politischen und diplomatischen, sondern auch im kulturellen und künstlerischen Bereich zu vermitteln. Davon ausgehend wollen wir hinterfragen, wie mit diesen konfliktreichsten und angespanntesten Jahren in den verschiedenen Künsten umgegangen wurde und wie der Krieg Künstler und Intellektuelle jener Zeit beeinflusste.
- Wir wollen in Deutschland und unter den Deutschen die Orginalschriften Agirres verbreiten, über den gegenwärtigen Stand der Forschung in den verschiedenen Bereichen, die sich mit Agirre beschäftigen und überlappen, informieren und in einer möglichst ansprechenden Art und Weise seine Odyssee während seines Deutschlandaufenthaltes präsentieren. Dafür wurden seine authentischen Tagebücher, die während seines Aufenthalts in Deutschland entstanden sowie das Deutschland betreffende Kapitel des Werks De Guernica a Nueva York pasando por Berlín (Von Gernika über Berlin nach New York) von Agirre ins Deutsche übersetzt und eine Karte vorbereitet, auf der sein Weg durch Berlin nachvollzogen werden kann.
Die vom Gernika Deutsch-Baskischer Kulturverein e. V. – Euskal Etxea Berlin organisierten Veranstaltungen werden durch die drei Tagungen, aus denen die internationale Konferenz The International Legacy of Lehendakari José Antonio Agirre’s Government besteht und von denen eine am 1. Juni an der Humboldt Universität Berlin stattfindet, ergänzt. Die Vorträge dieser Konferenz analysieren die Rolle es Lehendakari Agirre aus internationaler, wissenschaftlicher Sicht, was dazu beitragen soll, die aus diesem Anlass in Deutsch verfassten Beiträge zu seinem Leben und Wirken zu vervollständigen.
Für die deutsche Gesellschaft kommen der Geschichte und dem kritischen Umgang mit der Vergangenheit eine Schlüsselrolle. Alle Schlüsse, die aus der Analyse gezogen werden können und die heute noch Gültigkeit haben, sind von grundlegender Bedeutung, wenn es darum geht, Zusammenhalt in der Gesellschaft herzustellen.
Das Vermächtnis Agirres besteht weiter: seine historische Odyssee und sein politischer Beitrag sind nicht nur noch immer von großem Nutzen, um jene Zeit besser kennenzulernen, sondern vor allem von großer Hilfe, um den Entstehungsprozess des geeinten, demokratischen Europa zu verstehen und ihn in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Wir möchten dieses Projekt und die gesamte geleistete Arbeit den Gründern und Mitarbeitern des Gernika Deutsch-Baskischer Kulturverein e. V. – Euskal Etxea Berlin widmen: Constanze Lindemann, Ingo Drostel, Professor Wolfgang Wippermann und Klaus Ihlau, nicht zu vergessen Fritz Teppich, Michael Kasper, Kurt Goldstein, Hans Canjé und die vielen anderen, die nicht mehr unter uns sind. Es sind diese Deutschen, die mit ihrer Forderung nach einem kollektiven Gedächtnis und für ein gegenseitiges Verständnis von Basken und Deutschen möglich gemacht haben, dass die baskische Sprache und Kultur heute ihren Platz in Berlin und in Deutschland haben.
Ainhoa Añorga Osa
Vorsitzende des Gernika Deutsch-Baskischen Kulturvereins e.V – Euskal Etxea Berlin
Unai Lauzirika
Projektleiter Agirre in Berlin 1941-2016